Aufbruchsgeist erfasst geistliche Musik

Vor dreihundertvierzig Jahren wurden zwei Komponisten in lutherische Elternhäuser hineingeboren, die die Kirchen- und Hofmusik des 18. Jahrhunderts entscheidend prägten. Im Januar 1683 der Kirchberger Christoph Graupner und im April desselben Jahres Johann David Heinichen aus Krössuln. In diesem Gemeindebrief möchte ich Ihnen Christoph Graupner vorstellen.

Geistreiche Familie und Ausbildungsstätte

Christoph Graupners Talent wurde vom Kantor seiner sächsischen Heimatstadt Kirchberg entdeckt, seinem Onkel Nicolaus Küster. Konsequenterweise folgte die erfolgreiche Aufnahme an der Leipziger Thomasschule. Nach seinen Studien fand Graupner zunächst eine Anstellung als Cembalist an der Oper am Gänsemarkt in Hamburg. Als seine Oper „Telemach“ 1711 im Theatersaal des Darmstädter Hofes aufgeführt wurde, war der damalige Regent Landgraf Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt so angetan, dass er Graupner die Stelle des Hofkapellmeisters und Hoforganisten anbot (er blieb dort 51 Jahre im Dienst!). Seine Passion für die Kirchenmusik blieb ihm allerdings erhalten. Als 1722 der Thomaskantor Johann Kuhnau verstarb, war Graupners Eifer so groß, der weltlichen Musik den Rücken zu kehren, dass er sich um die angesehene Position des Thomaskantors bewarb. Bekommen hat sie am Ende Johann Sebastian Bach.

Geistlich verformt, weltlich geboren

Die Kantate wurde im Laufe der Zeit zu der Gattung kirchengeistlicher Musik schlechthin. Ihr ursprünglicher musikalischer Geist, welcher in und mit ihr wirkt, ist dennoch weniger ein imposanter oder groß angelegter. Die Kantate im eigentlichen Sinn ihrer Wortbedeutung ist ein klein angelegtes Singstück. Ebenso bedeutsam für den Geist einer Kantate ist, dass dieser seine Geburtsstunde im 17. Jahrhundert als Sologesang in der weltlichen Musik Italiens hatte.

Christoph Graupner komponierte 1450 Kantaten, die ihm gesichert zugeschrieben sind. Der Großteil der Kantaten war für den sonntäglichen Bedarf der Darmstädter Hofkirche gedacht. Wie es sich für einen Komponisten geziemt, gestaltet auch Graupner die Kantate auf vielfältige Art und Weise. Doch ganz gleich, ob die Kantate solistisch oder mit Chor gestaltet ist: Der Geist, der in Graupners Kantatenschaffen liegt, verweist deutlich auf die weltliche Geburtsstunde der Kantate. Die Leichtigkeit, wenn bei solistischen Gesangsdarbietungen diese oft nur von einem Instrument begleitet werden. Da ist Aufbruchstimmung, da zeigt sich eine einzigartige Kunst Graupners, welcher der liberale Geist der Lebensorte vor Darmstadt eingehaucht ist.

Graupner in der Gnadenkirche

Diesen Geist der Musik Graupners möchte ich für die Gnadenkirche neu zum Leben erwecken. Im Rahmen von Orgelmatineen zwischen Ende April und Anfang Juni, aber auch im Rahmen von Gottesdiensten und von besonderen Veranstaltungen werden verschiedene Werke Graupners und Heinichens zu hören sein, solistisch oder im Ensemble.

Sven J. Koblischek, M.A.