60 Jahre Gnadenkirche Dachau
Eines der wesentlichen Menschenrechte ist das Recht auf freie Religionsausübung. Spiritualität, Glauben im geschützten Raum zu leben, ist mit dem Menschsein unlösbar verbunden. Wie froh und dankbar waren die Menschen im wachsenden Stadtteil Dachau-Ost, dass zu ihrem künftigen Wohn- und Lebensraum auch eine Kirche gehören sollte. Am 12. April 1964 wurde die katholische Heilig-Kreuz-Kirche eingeweiht und am 19. April 1964 die evangelische Gnadenkirche. Die bisherige Gnadenkirche, eine Notkirche, errichtet im Wohnlager Dachau-Ost, wurde abgebrochen und in München-Ludwigsfeld wieder aufgestellt.
Der Grundstein zur neuen Kirche im Stadtteil, vom Architekten Hans Hessel entworfen, wurde am 21. Oktober 1962 gelegt. „Gnadenkirche“ sollte auch sie heißen, in Erinnerung daran, wie es Pfarrer Daum bei der Einweihung der ersten Gnadenkirche auf dem ehemaligen KZ-Gelände am 1. Advent 1951 sagte:
„Dieser Ort soll eine bleibende Zufluchtsstätte zur Gnade werden. Flüchtlinge wissen, was es heißt, keine Zuflucht zu haben, vor gnadenlosen Peinigern fliehen zu müssen, von gnadenlosen Herren vertrieben zu werden. Flüchtlinge haben dann auch ein besonderes Ohr für das Wort: Bei dem Herrn ist die Gnade. … er wandelt diese Gewalt um in Güte und Gnade. Des zum sichtbaren Ausdruck wächst dieses Gotteshaus aus der Erde. Wie könnten wir ihm einen anderen Namen geben als den Namen: Gnadenkirche!“
So entstand diese Zufluchtsstätte, in der sich die Gemeinde, die Menschen in unterschiedlichsten Lebenssituationen, in Freude und Leid dieser Gnade vergewissern durften.
Das Kirchenschiff würde glatt ein Drei-Familien-Haus fassen und der 50 Meter hohe Turm ist weithin sichtbar.
Die Kirche sollte erkennbar sein in der immer dichteren und höheren Wohnbebauung. Die vier Glocken sollten weithin hörbar sein, wenn sie zum Gebet einladen und mit ihrem Vierklang verheißen:
Glocke 1: Bei dem Herrn ist die Gnade
Glocke 2: Land, Land, höre des Herrn Wort
Glocke 3: Haltet an am Gebet
Glocke 4: Seid dankbar in allen Dingen
2018 wurden Glockenstuhl und Glocken saniert. Große Maßnahmen waren nicht nötig. Das spricht für die gute Qualität der Glockengießerei Cudnochowsky aus Erding.
Ebenso hochwertig ist die Simon-Orgel, die 2019 renoviert wurde und seither in etwas „weicherem“ Timbre erklingt und von vielen Musikern sehr geschätzt wird, natürlich auch von den Zuhörenden bei Konzerten und den Mitfeiernden bei den Gottesdiensten.
Der Kirchenraum ist schlicht gehalten. Um so schützender wirkt das hohe Dach, man fühlt sich sicher und geborgen und doch in eine Weite versetzt, die aufatmen lässt.
Der Kunstmaler Gerd Jähnke wurde mit der künstlerischen Ausgestaltung der Kirche beauftragt. Er akzentuierte an wenigen Punkten:
Die Glasfenster versah er mit Linien aus Blei, die sich wie ein Band durch den Kirchenraum ziehen und sich zum Altar hin zu Symbolen verdichten: „Stationen der Gnade, Wege des Heils“. Aber auch Schmerzhaftes scheint auf: Erinnerungen an Stacheldraht, Gefangenschaft, Folter – Erinnerungen an das KZ-Dachau und so viele Orte, an denen die Menschenwürde herabgesetzt wird.
So finden sich auch auf dem Altarbild versehrte Menschen, verletzt an Leib und Seele – und doch eingeladen an den Tisch des Herrn, in die Gemeinschaft mit Christus. Seine Liebe ergießt sich wie ein Strom allen, die ihrer bedürfen.
Ich denke an Psalm 36,10: „Bei dir ist die Quelle des Lebens und in deinem Licht sehen wir das Licht.“
Mögen das Menschen an diesem Ort noch viele Jahrzehnte lang erfahren dürfen.
Pfarrerin Ulrike Markert