Kann ich nicht auch ohne Kirche als Christin und Christ leben? Eine Spurensuche was überhaupt Kirche ist:
… im Neuen Testament:
Jesus verkündigte das Reich Gottes: „Du bist ein geliebtes Kind Gottes! Du darfst unter seinem Segen ein gutes, sinnvolles, an Leib und Seele heiles Leben führen.“ Die Erfahrung der Frauen und Männer nach Ostern war: Diese Botschaft ist nicht „totzukriegen“! Nicht durch religiöse oder staatliche Macht, nicht durch Verfolgung, Unterdrückung, Ausgrenzung, nicht durch Terror oder Foltertod. Das Neue Testament berichtet davon, wie es weiterging mit der Botschaft Jesu nach seiner Auferweckung von den Toten:
Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den Heiligen Geist! (Joh. 20, 21f.)
Die Geschichte der ersten Christinnen
und Christen, die sog. Apostelgeschichte berichtet, wie das geschah:
Und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in anderen Sprachen, wie der Geist ihnen zu reden eingab. (Apg. 2, 4)
So entstand die erste Gemeinschaft der Frauen, Männer und Kinder, die sich taufen ließen und die frohe Botschaft von Jesus Christus feierten und weitersagten.
Die junge Kirche erhielt regen Zulauf. Man lebte im Geist der tätigen Nächstenliebe, wie Jesus sie vorgelebt hatte. Der Glaube an Gott als Vater und Schöpfer, als Sohn und Heiland, als Heiliger Geist und Lebensatem der Welt formte sich weiter aus. Anders als in der antiken Lebens- und Glaubenswirklichkeit gab es keine Unterschiede im Ansehen der Person. Paulus schrieb schon früh:
„Ihr alle seid durch den Glauben Söhne und Töchter Gottes in Christus Jesus, es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau, denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.“ (Gal. 3,28).
So sollte es unter Christenmenschen sein. Die Taufe, die Zugehörigkeit zu Christus und zur Gemeinde verändert die Lebenswirklichkeit. Gesellschaftlicher Status, Herkunft, Geschlecht, Alter … all das zählt nicht mehr. Einziges Kriterium ist die liebende Zuwendung Gottes und die Erfüllung der menschlichen Sehnsucht nach heilem Leben – im Glauben an Jesus Christus und in seiner Nachfolge.
Bald bildeten sich organisierte Formen der frühen Kirche. Verschiedene Ämter kristallisierten sich heraus, sozusagen eine Kompetenzteilung: Es gab Gemeindeleiter und Diakone, auch weibliche (z.B. Lydia von Philippi, die erste getaufte Christin Europas, Phöbe von Kenchräa, Diakonin und Gemeindevorsteherin und Junia, die von Paulus im Römerbrief als „Apostelin“ und Lehrerin erwähnt wird und sehr bald auch Bischöfe. (Röm. 16,7)
… in der frühen Kirchengeschichte:
Die Zeit der Entstehung der christlichen Kirche war durchaus konfliktbeladen: Was waren die Kriterien für die „Rechtgläubigkeit“? Auf Synoden wurde um die Antworten gerungen. Es gab auch Abgrenzungen. Den staatlichen Behörden waren die Christen suspekt. Potenzielle Staatsfeinde. Bald schon zog sich eine blutige Spur der Verfolgung durch das Römische Reich. Das änderte sich grundlegend, als Kaiser Theodosius das Christentum zur Staatsreligion erhob (380), d.h. das Christentum wurde für alle Bürger des Reichs verbindlich.
Die dunkle Kehrseite: eine falsch verstandene christliche Mission führte schon bald zu schlimmen Religionskriegen und „Die Kirche“ als Macht-Institution und hierarchische Organisation bildete sich immer weiter heraus.
… in der Reformation und Lutherischen Tradition:
Dies kritisierte Martin Luther (1483-1546). Nach seinem Verständnis ist Kirche nicht primär eine Institution, sondern die im Heiligen Geist versammelte Gemeinde Jesu Christi. Sie ist eine Schöpfung des Wortes Gottes, also der Verkündigung von der unbedingten Liebe Gottes, wie Jesus sie
gelehrt hatte. Daher ist Kirche im eigentlichen Sinn „unsichtbar“.
Kirche ist, wo Menschen in der Nachfolge Christi und im Gedächtnis an ihn, zusammenkommen, beten, feiern, helfen und handeln. Kirche ist „Gemeinschaft der Getauften, der Glaubenden“, in der Gottes heilsame Gegenwart wirkt und spürbar und sichtbar wird. (s. Augsburger Bekenntnis, Art. 7 und 8, im Evangelisches Gesangbuch).
Kirche ist in diesem Sinne ein „Ereignisraum“: in ihr geschieht etwas, was für Menschen gut ist, tröstlich, ermutigend. Damit dies weitergegeben werden kann und dabei nicht alles beliebig oder verfälscht, verdreht, verkürzt wird, ist die Institution der Kirche wichtig. D.h. die Botschaft ist uns heilig, nicht die Organisation, auch nicht ihre Gebäude.
… Kirche an Orten
Ein Kirchengebäude ist ein sichtbares Symbol für das Christentum. Es ist ein Ort an dem die Gläubigen zusammenkommen können, an wichtigen Lebensstationen (Taufe, Hochzeit, Beerdigung…) Begleitung und Stärkung erfahren.
Aber Gottesdienste können an verschiedenen Orten stattfinden: Auf öffentlichen Plätzen, in der Natur, auf Jugendfreizeiten…
Und: Kirche ist eine Solidargemeinschaft. Sie ereignet sich da, wo Menschen sich einsetzen für die Menschenliebe und Menschenfreundlichkeit Gottes, d.h. ihrem Glauben tätig Ausdruck verleihen, z.B. in der Diakonie.
Gemeinschaft kann sich auch in sozialen Medien abbilden. Im Geist digital verbunden sein zu können, hat sich während der Corona-Pandemie als Segen erwiesen. Und viele jungen Menschen verbinden sich auch im Glauben und Hoffen über ihre Lebensziele, für das Wohl dieser Erde, für Gerechtigkeit und Frieden digital – weltweit.
Der Geist Gottes wirkt…
Wo der Geist ist, ist Christus!
Eigentlich keine Frage, ob es Kirche „braucht“ denn „Kirche IST“.
Sie ist ein Werk des Heiligen Geistes, ein Werk Gottes selbst, der das Gute will für seine Menschenkinder und seine Schöpfung. Am Ende der Zeit, aber auch schon hier und heute.
Pfarrerin Ulrike Markert