Der Mensch ist ein „zoon politikon“, ein geselliges Wesen. Wir leben von Nähe. Ohne sie verkümmern wir (wie das „Kaspar-Hauser-Syndrom“ zeigt).

Was wir in diesen Tagen erleben, ist so noch nie dagewesen.

Wer hätte gedacht, dass das Leben in unserem Land und weltweit fast von heue auf morgen ausgebremst wird. Dass Nähe krank macht. Schlimm krank. Dass Abstand halten auf einmal Leben retten kann.

Die Wirtschaft steht so gut wie still – es geht nicht mehr weiter, höher, besser, gewinnmaximierender… auf einmal geht es rückwärts – so rasant wie bei einer Rückwärtsfahrt in der Berg- und Talbahn beim Oktoberfest. Da mag das ja noch lustig sein. Aber zum Lachen ist uns derzeit nicht. Betriebe stellen ihre Arbeit ein und werden mit Millionenverlusten rechnen müssen. Menschen verlieren ihr Einkommen und viele fürchten um ihre Existenzgrundlage.

Das öffentliche Leben steht still. Man mag es kaum glauben, es gibt Schulkinder, die sich nach drei Tagen Schulschließung schon danach sehen, wieder in die Schule gehen zu dürfen! Vielleicht nicht in erster Linie wegen des Unterrichts – obwohl das nicht zu unterschätzen ist, wenn ich mich nicht jeden Tag selbst um meinen Stundenplan kümmern muss! Wie gut, wenn da Eltern zuhause bleiben und unterstützen können. Allerdings dabei auch den Spagat von Homeoffice, Hilfslehrer/in und Hausarbeit hinbekommen müssen!

Was uns alle sicher am härtesten trifft, ist, dass wir gezwungen sind auf Abstand zu gehen.

Dass wir nirgendwo mehr hingehen können, uns ein bisschen „Spaß“ und Abwechslung im Alltag zu gönnen. Dass wir Freunde und Familie nicht mehr treffen, weil es uns schwer krank machen könnte!

Unsere Kinder werden in den nächsten Wochen wahrscheinlich schlechte Laune kriegen und wir mit ihnen, unsere Alten und Kranken werden noch einsamer in ihren vier Wänden ausharren müssen.

Wir dürfen uns nicht mehr zum Gottesdienst, zum Altenclub und Jugendcafé, zu Konzerten, Vorträgen und Bibelkreisen versammeln, Taufen, Hochzeiten, Konfirmationen, Familienfeiern werden abgesagt und verschoben. Trauerfeiern finden nur noch im engsten Kreise statt – die tragende Woge des Mitgefühls vieler Weggefährten bricht weg…

Manch eine und einer mag sagen: endlich geht alles mal langsamer. Endlich sind wir mal gezwungen unseren Lebensstil zurückzufahren und zu überdenken. Verzicht – und sei er auch unfreiwillig und durch die Krise erzwungen – tut unserer Gesellschaft eigentlich ganz gut. War da nicht was mit „Fastenzeit“, in der wir uns gerade befinden?

Es mag sein, dass manche ein leises neues Bewusstsein für Verzicht, Entschleunigung, Fasten entwickeln – und dass das auch heilsam sein kann. Dass wir dabei aber auf das existenzielle verzichten müssen, auf mitmenschliche Nähe und Zuwendung „in echt und in Farbe“, also nicht nur digital oder am Telefon – das ist hart.

Trotz alledem bin ich überwältigt, wie viele Menschen es schon sind, die ganz spontan, freiwillig und selbstverständlich helfen und helfen wollen.

Auch das schafft Nähe: Wenn ich weiß, dass sich jemand um mich sorgt. Dass ein junger Mensch aus dem Haus einfach an meiner Wohnungstür klingelt und fragt, ob er mir vom Einkaufen etwas mitbringen kann. Wenn jemand für mich kocht und Essen vor die Tür stellt…

Auch wir als Kirchengemeinde wollen hier unterstützen. Einige freiwillige Helfer*innen haben sich schon bereit erklärt, einzukaufen, im Alltag nach Möglichkeit zu unterstützen, gegen die Einsamkeit zu telefonieren oder füreinander zu beten.

Wenn Sie Hilfe brauchen, wenn Sie sich einsam fühlen und sich über ein Gespräch freuen, wenn Sie jemanden bitten wollen, für Sie oder für Ihre Lieben zu beten, bitte lassen Sie es uns wissen.

Zumindest per Anrufbeantworter erreichen Sie das Pfarramt rund um die Uhr und wir setzen uns so bald als möglich mit Ihnen in Verbindung – Tel: 08131 31420.

Wir wollen aber auch das andere nicht vergessen:

„Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus dem Mund Gottes kommt“ (Matthäus 4,4)

„Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“ – das geflügelte Wort kennt wohl jeder. Und dann kann alles Mögliche damit gemeint sein und wir merken es ja zur Zeit ganz deutlich, dass die Vorratsschränke zuhause jetzt vielleicht voll sind, wir uns aber trotzdem eigentümlich leer fühlen, aufgewühlt und ängstlich.

Der, von dem dieses „geflügelte Wort“ ursprünglich stammt, ist Jesus.

Noch bevor er öffentlich auftritt, um im Namen Gottes zu predigen und den Menschen Gutes zu tun an Leib und Seele, zieht sich Jesus in die Wüste zurück. Besser gesagt: der Geist Gottes führt ihn in die Einsamkeit der Wüste, so berichtet das Matthäusevangelium. Dort ist er auf sich selbst geworfen. Allein. Fastend. Hungernd – nicht nur nach Brot. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.“

Wie nahe mir dieser Jesus auf einmal ist.

Der, der die Einsamkeit kennt. Die Entbehrung jeglicher menschlicher Nähe. Den Hunger nach Leben.

Da bin ich beim „Wort, das aus dem Mund Gottes kommt“:

Die Bibel erzählt uns davon, wie angefochten auch Jesus war. Einsam, mancher Versuchung ausgesetzt (z.B. Macht und Besitz für sich allein zu horten!).

Und dann doch eine andere und größere Nähe erfuhr: Am Ende der Geschichte von der sog. „Versuchung Jesu“ heißt es, dass Engel zu Jesus traten und ihm dienten.

Wenn diese Zeiten jetzt für uns irgendwie auch segensreich werden können, dann hoffentlich dadurch, dass wir uns auf uns und aufeinander besinnen. Dass wir der Versuchung widerstehen, nur an uns und unsere sicheren Klopapierreserven zu denken. Dass wir stattdessen einander dann und wann zu Engeln werden und einander dienen.

Wir unterstützen Sie darin gerne, indem wir regelmäßig auf unserer Homepage ein paar aufbauende und tragende Gedanken einstellen, die Sie jederzeit nachlesen können. Schön wäre auch, wenn Sie sie auch ausdrucken und z.B. einer Nachbarin bringen, die keinen Internetzugang hat. Oder sie dem Elternteil ins Altenheim schicken, den Sie gerade nicht besuchen dürfen.

Vor der Gnadenkirche werden Sie bald eine „Wäscheleine“ finden, an die wir regelmäßig ein paar gute Gedanken oder Gebete „zum Mitnehmen“ hängen werden. Wenn Sie auf dem Weg zum Einkaufen sind, bedienen Sie sich gerne – für sich selbst oder einen Menschen, der Zuspruch braucht.

 

Behüt‘ Sie Gott!

Ihre Pfarrerin Ulrike Markert